Am Mittwoch hatte ich wieder einmal Fitnesstest. Wenn man,
wie ich, nach Programm trainiert, ist einmal im Jahr „Stunde der Wahrheit“. Das
Ergebnis war okay, aber im vergangenen Jahr war es etwas besser. Dazu muss man
wissen: der Test wird auf dem Fahrradergometer durchgeführt und mein vorheriger
Test fand gleich anschließend an einen Fahrrad-Urlaub auf dem Elberadweg
(Magdeburg – Cuxhaven) statt. Der Trainer war etwas enttäuscht, dass ich dieses
Mal abbrach, ehe ich meinen Maximalpuls erreicht hatte. Grund dafür waren aber
weder mangelnde Motivation noch fehlender Wille, sondern schlicht fehlende
Muskeln für diese Sportart. Mein Ruhepuls war etwas erhöht, aber kein Wunder:
es war ja die erste Arbeitswoche nach freien Tagen. Heute ist es so, dass einen
nach freien Tagen gleich mal ein Berg Arbeit erwartet, welche liegengeblieben
ist, so dass man quasi von 0 auf 150 startet und dementsprechend körperlich und
psychisch reagiert. Gestern war ich einfach nur erholungsbedürftig und
zweifelte daran, ob ich einen längeren Wochenendlauf durchführen würde und ob
es überhaupt gut wäre, dies zu tun. Aber wie durch ein Wunder erwachte ich früh
am Morgen mit der entsprechenden Vorfreude. Und abweichend von den vorherigen
Wochenenden gab es ein halbes Brötchen zum Frühstück. Der Grund: ich hatte Hunger
– morgens 4.30 Uhr! Aber vermutlich wusste mein Körper schon mehr als mein
Kopf. Aber der ahnte wohl auch etwas, denn ich begann meinen Morgensport mit
einer Runde Gehen ums Viertel.
Gegen fünf Uhr beginnt mein Lauf. Der Forerunner ist
eingeschaltet, der Brustgurt zum Pulsmessen liegt – wie beinahe immer –
zuhause. Ich richte mich nach der Atmung. Wichtig ist dagegen die Kilometeranzeige,
aber es wird heute dauern, bis ich sie überhaupt erkennen kann. Es ist noch
dunkel. Mit Warnweste, heller Laufjacke und Stirnlampe bin ich entsprechend
ausgerüstet. Ich laufe an der Elbe entlang, weiter an der Leipziger Straße
Richtung Stadtzentrum. Es ist sehr warm, aber ab und an nieselt es und der Wind
weht böig. Ich bin richtig begeistert von meiner neuen Laufjacke. Sie ist
leicht, bequem, hält den Wind gut ab, trägt sich einfach wunderbar, hat eine
Kapuze, was bei Regen sehr praktisch ist, und sieht auch hübsch aus. Es hat
lange gedauert, bis ich mir so ein – nicht ganz billiges – Stück geleistet
habe, aber nun bin ich rundum zufrieden und kann sie auch bei anderen
Aktivitäten nutzen. Ein paar Nachtschwärmer sind auf dem Heimweg. Ich mache
rechtzeitig einen Bogen um sie. Die meisten allerdings haben mit sich zu tun. Heute
bleibe ich noch eine Weile oben an der Hauptstraße und habe Glück: an den
Ampeln ist immer Grün. Erst an der Albertbrücke wechsle ich hinunter auf den
Elberadweg. Es ist noch immer dunkel, aber ich staune nicht schlecht, als mir
etwa auf halber Strecke zur Waldschlösschenbrücke ein Läufer entgegen kommt. Es
ist noch sehr still, und die Bäume am Wegrand rauschen. Stille, frische Luft
und die Weite des Elbtals – das ist einfach schön. Ich bin heute sehr langsam
und kann ruhig und fließend laufen. Zeit spielt keine Rolle mehr. Irgendwo im
Hintergrund ist der Gedanke, dass ich heute um die drei Stunden laufen werde,
aber es fühlt sich nicht anders an, als eineinhalb Stunden an anderen Tagen. Da
ist nichts mehr außer mir und der Laufstrecke, ich bin nur noch im jeweiligen
Moment und kümmere mich weder um die Entfernung, die vor mir liegt, noch um
das, was der Tag bringen wird. Ein wenig unwirklich kommt mir dieser Zustand
schon vor, aber ein solches Geschenk sollte man nicht in Frage stellen, sondern
annehmen. Manche Wegabschnitte sind gut beleuchtet, andere weniger gut, aber
ich habe ja meine Stirnlampe. Auf dem Weg zum Blauen Wunder, dessen Lichter ich
vor mir sehe, ist es zeitweise sehr dunkel. Dann kommt ein Stück mit
Kopfsteinpflaster. Das ist weniger angenehm, aber man kann es als Abwechslung
betrachten. Als ich über das Blaue Wunder laufe, sehe ich, wie der Himmel
allmählich heller wird. Am Schillerplatz werden schon die Marktstände
aufgebaut. Ich laufe wieder zur Elbe hinunter. So gut habe ich mich selten nach
über 10 Kilometern gefühlt. Und eigentlich wusste ich es schon vorher: ein
Halbmarathon ist heute realistisch. Ich werde es schaffen. Nun wende ich mich
schon wieder heimwärts. Das Stück bis zur Waldschlösschenbrücke zieht sich in
die Länge. Allmählich wird es hell. Nun kommen mir ab und an Läufer entgegen. Radfahrer
sind erstaunlicherweise kaum unterwegs. An der Brücke angekommen, mache ich die
erste Trinkpause. Die Warnweste kann ich mir nun in die Tasche stecken. Die helle
Kuppel der Frauenkirche ist das Erste, was ich vom Stadtzentrum sehe. Nach und
nach erkenne ich auch die Hofkirche, den Rathausturm, das Kongresszentrum. Der
Johannstädter Fährgarten, dann der Elbe-Flohmarkt, die Albertbrücke, die
Carolabrücke: die markanten Punkte häufen sich. Über die Augustusbrücke laufe
ich hinüber auf die andere Seite. Die 17-Kilometer-Marke kommt näher, aber ich
weiß, es liegt noch ein ordentliches Stück Strecke vor mir. Dennoch, ich kann
mein Zuhause fast schon sehen. Unter der Marienbrücke hindurch, da bin ich in
Dresden-Nord. Dort, wo die umstrittene Hafencity entstehen soll, habe ich 18
Kilometer zurückgelegt. Noch eine kurze Trinkpause, noch immer habe ich einiges
vor mir. 19 Kilometer vor der Molenbrücke, 20 Kilometer hinter dem Ballhaus
Watzke. Nun wird es anstrengend, aber ab und an kann das ja mal sein. Es ist
wichtig, auch dann noch ruhig zu atmen und auf die Haltung zu achten. Bloß
nicht hetzen, auch das letzte Stück soll gelingen. Ein Stück noch an der Elbe
entlang, dann hinauf zur Sternstraße. Da geht noch ein Stück… ich laufe weiter
und nach 21,2 Kilometern wende ich mich heimwärts. Halbmarathon! Es müsste ein
Signal am Forerunner geben, das wäre noch motivierender. Ein Stück noch
geradeaus, dann am Feld rechts herum, die letzten Meter an Nebenstraßen
entlang. 22,2 Kilometer bin ich gelaufen. Das war nicht nur mein dritter
Halbmarathon in diesem Jahr, sondern ein Kilometer mehr und mein erster Lauf über
drei Stunden – naja, fast schon ein Langsamkeitsrekord. ;-) Stunde der Wahrheit
ist eben nicht drinnen auf irgendwelchen Geräten, sondern beim Laufen draußen im
Elbtal.
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