Samstag, 9. November 2013

Stunde der Wahrheit



Am Mittwoch hatte ich wieder einmal Fitnesstest. Wenn man, wie ich, nach Programm trainiert, ist einmal im Jahr „Stunde der Wahrheit“. Das Ergebnis war okay, aber im vergangenen Jahr war es etwas besser. Dazu muss man wissen: der Test wird auf dem Fahrradergometer durchgeführt und mein vorheriger Test fand gleich anschließend an einen Fahrrad-Urlaub auf dem Elberadweg (Magdeburg – Cuxhaven) statt. Der Trainer war etwas enttäuscht, dass ich dieses Mal abbrach, ehe ich meinen Maximalpuls erreicht hatte. Grund dafür waren aber weder mangelnde Motivation noch fehlender Wille, sondern schlicht fehlende Muskeln für diese Sportart. Mein Ruhepuls war etwas erhöht, aber kein Wunder: es war ja die erste Arbeitswoche nach freien Tagen. Heute ist es so, dass einen nach freien Tagen gleich mal ein Berg Arbeit erwartet, welche liegengeblieben ist, so dass man quasi von 0 auf 150 startet und dementsprechend körperlich und psychisch reagiert. Gestern war ich einfach nur erholungsbedürftig und zweifelte daran, ob ich einen längeren Wochenendlauf durchführen würde und ob es überhaupt gut wäre, dies zu tun. Aber wie durch ein Wunder erwachte ich früh am Morgen mit der entsprechenden Vorfreude. Und abweichend von den vorherigen Wochenenden gab es ein halbes Brötchen zum Frühstück. Der Grund: ich hatte Hunger – morgens 4.30 Uhr! Aber vermutlich wusste mein Körper schon mehr als mein Kopf. Aber der ahnte wohl auch etwas, denn ich begann meinen Morgensport mit einer Runde Gehen ums Viertel.
Gegen fünf Uhr beginnt mein Lauf. Der Forerunner ist eingeschaltet, der Brustgurt zum Pulsmessen liegt – wie beinahe immer – zuhause. Ich richte mich nach der Atmung. Wichtig ist dagegen die Kilometeranzeige, aber es wird heute dauern, bis ich sie überhaupt erkennen kann. Es ist noch dunkel. Mit Warnweste, heller Laufjacke und Stirnlampe bin ich entsprechend ausgerüstet. Ich laufe an der Elbe entlang, weiter an der Leipziger Straße Richtung Stadtzentrum. Es ist sehr warm, aber ab und an nieselt es und der Wind weht böig. Ich bin richtig begeistert von meiner neuen Laufjacke. Sie ist leicht, bequem, hält den Wind gut ab, trägt sich einfach wunderbar, hat eine Kapuze, was bei Regen sehr praktisch ist, und sieht auch hübsch aus. Es hat lange gedauert, bis ich mir so ein – nicht ganz billiges – Stück geleistet habe, aber nun bin ich rundum zufrieden und kann sie auch bei anderen Aktivitäten nutzen. Ein paar Nachtschwärmer sind auf dem Heimweg. Ich mache rechtzeitig einen Bogen um sie. Die meisten allerdings haben mit sich zu tun. Heute bleibe ich noch eine Weile oben an der Hauptstraße und habe Glück: an den Ampeln ist immer Grün. Erst an der Albertbrücke wechsle ich hinunter auf den Elberadweg. Es ist noch immer dunkel, aber ich staune nicht schlecht, als mir etwa auf halber Strecke zur Waldschlösschenbrücke ein Läufer entgegen kommt. Es ist noch sehr still, und die Bäume am Wegrand rauschen. Stille, frische Luft und die Weite des Elbtals – das ist einfach schön. Ich bin heute sehr langsam und kann ruhig und fließend laufen. Zeit spielt keine Rolle mehr. Irgendwo im Hintergrund ist der Gedanke, dass ich heute um die drei Stunden laufen werde, aber es fühlt sich nicht anders an, als eineinhalb Stunden an anderen Tagen. Da ist nichts mehr außer mir und der Laufstrecke, ich bin nur noch im jeweiligen Moment und kümmere mich weder um die Entfernung, die vor mir liegt, noch um das, was der Tag bringen wird. Ein wenig unwirklich kommt mir dieser Zustand schon vor, aber ein solches Geschenk sollte man nicht in Frage stellen, sondern annehmen. Manche Wegabschnitte sind gut beleuchtet, andere weniger gut, aber ich habe ja meine Stirnlampe. Auf dem Weg zum Blauen Wunder, dessen Lichter ich vor mir sehe, ist es zeitweise sehr dunkel. Dann kommt ein Stück mit Kopfsteinpflaster. Das ist weniger angenehm, aber man kann es als Abwechslung betrachten. Als ich über das Blaue Wunder laufe, sehe ich, wie der Himmel allmählich heller wird. Am Schillerplatz werden schon die Marktstände aufgebaut. Ich laufe wieder zur Elbe hinunter. So gut habe ich mich selten nach über 10 Kilometern gefühlt. Und eigentlich wusste ich es schon vorher: ein Halbmarathon ist heute realistisch. Ich werde es schaffen. Nun wende ich mich schon wieder heimwärts. Das Stück bis zur Waldschlösschenbrücke zieht sich in die Länge. Allmählich wird es hell. Nun kommen mir ab und an Läufer entgegen. Radfahrer sind erstaunlicherweise kaum unterwegs. An der Brücke angekommen, mache ich die erste Trinkpause. Die Warnweste kann ich mir nun in die Tasche stecken. Die helle Kuppel der Frauenkirche ist das Erste, was ich vom Stadtzentrum sehe. Nach und nach erkenne ich auch die Hofkirche, den Rathausturm, das Kongresszentrum. Der Johannstädter Fährgarten, dann der Elbe-Flohmarkt, die Albertbrücke, die Carolabrücke: die markanten Punkte häufen sich. Über die Augustusbrücke laufe ich hinüber auf die andere Seite. Die 17-Kilometer-Marke kommt näher, aber ich weiß, es liegt noch ein ordentliches Stück Strecke vor mir. Dennoch, ich kann mein Zuhause fast schon sehen. Unter der Marienbrücke hindurch, da bin ich in Dresden-Nord. Dort, wo die umstrittene Hafencity entstehen soll, habe ich 18 Kilometer zurückgelegt. Noch eine kurze Trinkpause, noch immer habe ich einiges vor mir. 19 Kilometer vor der Molenbrücke, 20 Kilometer hinter dem Ballhaus Watzke. Nun wird es anstrengend, aber ab und an kann das ja mal sein. Es ist wichtig, auch dann noch ruhig zu atmen und auf die Haltung zu achten. Bloß nicht hetzen, auch das letzte Stück soll gelingen. Ein Stück noch an der Elbe entlang, dann hinauf zur Sternstraße. Da geht noch ein Stück… ich laufe weiter und nach 21,2 Kilometern wende ich mich heimwärts. Halbmarathon! Es müsste ein Signal am Forerunner geben, das wäre noch motivierender. Ein Stück noch geradeaus, dann am Feld rechts herum, die letzten Meter an Nebenstraßen entlang. 22,2 Kilometer bin ich gelaufen. Das war nicht nur mein dritter Halbmarathon in diesem Jahr, sondern ein Kilometer mehr und mein erster Lauf über drei Stunden – naja, fast schon ein Langsamkeitsrekord. ;-) Stunde der Wahrheit ist eben nicht drinnen auf irgendwelchen Geräten, sondern beim Laufen draußen im Elbtal.

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