Samstag, 26. April 2014

Und der Körper hat Recht: 30 Kilometer

Ich habe meinen Lesern eine Kleinigkeit unterschlagen: am Karfreitag, als ich nach dem Lauf nach Meißen endlich in der S-Bahn saß, fiel mir ein, dass ich ja noch irgendwie vom Bahnhof nach Hause kommen muss. Es hatte inzwischen kräftig zu regnen begonnen und mir wurde allmählich richtig kalt. Da hatte ich keine Wahl: ich musste noch einen reichlichen Kilometer nach Hause rennen. Somit waren es insgesamt doch 25 Kilometer, also deutlich mehr als ein Halbmarathon. Diese Kleinigkeit sollte sich heute als wichtig erweisen. Anfang der vergangenen Woche hatte ich plötzlich wieder Zweifel: an dem Trainingsplan, den ich mir ausgesucht und von dem ich mich vorzeitig verabschiedet hatte, an meinen Zielen, meiner Einstellung, auch an meiner körperlichen Leistungsfähigkeit. Der Lauf am Karfreitag hat mir auch mental mehr abverlangt, als ich zunächst gedacht hatte. Sollte ich noch weitertrainieren? Kann ich das verantworten? Und vor allem: wie trainieren? Ich habe dann das getan, womit ich ein gutes Gefühl hatte: am Dienstag noch keinerlei Sport, am Mittwoch Morgen ein kurzer, ruhiger Lauf, aber keine Kurse am Abend, am Donnerstag Krafttraining, danach ein kurzes Ausdauertraining auf Crosstrainer und Fahrradergometer, am Freitag Ruhetag. Ich nahm alles zu mir, worauf ich Appetit hatte – ohne Rücksicht auf Kalorienangaben oder Nährwert. Und ich schlief so viel, wie es mir möglich war. Anfangs verstärkte das meine Zweifel noch, weil sich mein Tagesablauf im Wesentlichen auf Arbeiten, Essen und Schlafen reduzierte. Damit war ich unzufrieden und meiner Familie wollte ich einen solchen Zustand auch nicht länger zumuten. Im Laufe des Donnerstags kamen meine Energie und Unternehmungslust zurück. Ich begann, mich auf den langen Wochenendlauf zu freuen. Und auch auf meine Arbeit wirkte sich diese Vorfreude positiv aus. Sport kann so viel Energie spenden! Mir fiel wieder ein, was ich da am Karfreitag gemacht habe, und erstmals hielt ich es für möglich, mein Saisonziel, 30 Kilometer zu laufen, schon an diesem Wochenende zu erreichen. Im Laufe des Freitags wurde die Vorfreude stärker, ich spürte immer wieder ein Kribbeln im Bauch, als schwärmten da Unmengen Schmetterlinge. Aber ich wollte keinesfalls irgendetwas erzwingen. Von vorzeitigem Abbrechen bis zum Wunschziel hielt ich alles für möglich. Gestern Abend mochte ich dann keine noch so gesunde Mahlzeit zu mir nehmen, nur ein paar Schokoladeneier – aber so lässt es sich ja aushalten. ;-) Geschlafen habe ich etwa vier Stunden. Kurz vor halb vier stand ich auf. Morgens vor dem Lauf trinke ich immer meinen Milchkaffee – daran bin ich gewöhnt und ich würde nicht darauf verzichten wollen. In der Nacht hatte ich schon eine Quark-Joghurt-Creme gegessen und mochte nun nichts weiter. Meist decke ich dann den Frühstückstisch und höre mir noch ein wenig stimulierende Musik an. Beim Laufen möchte ich nur die Geräusche der Umgebung wahrnehmen. Ich war heute so motiviert, wie ich das nicht für möglich gehalten hätte. Kurz nach halb fünf begann ich zu laufen: an gut beleuchteten Straßen entlang nach Übigau. Der Himmel ist klar, feiner Nebel liegt auf den Wiesen und Straßen. Eine sehr schöne Stimmung ist das, und mit Sicherheit wird der Tag freundlich beginnen. Jetzt ist es noch dunkel. Ich laufe betont langsam und ruhig. Bloß nicht hektisch werden, nur nicht verspannen, immer auf die Haltung achten: ganz locker bleiben… So geht es in einem großen Bogen durch Übigau, zurück zum Elbepark und schließlich Richtung Elbe. Hier habe ich schon fünf Kilometer zurückgelegt. Heute trage ich nicht nur den Laufrucksack, sondern auch meinen Gürtel mit einem Trinkfläschchen. Den darin befindlichen Apfelsaft möchte ich mit dem Wasser aus der Trinkblase mischen. Meine Verpflegung für unterwegs: Traubenzuckertabletten. Die brauche ich aber jetzt noch nicht. Eine orangerote Mondsichel verblasst, es wird heller. Ich laufe nun in östlicher Richtung in die Stadt. Ruhig und stimmungsvoll ist es. Einige Leute sitzen noch an der Elbe. Ich bin gespannt, ob ich heute Läufer sehen werde. Von Brücke zu Brücke geht es… der Nebel verhindert eine ganze Weile, dass ich die Waldschlösschenbrücke sehe. Überqueren werde ich sie heute nicht. Als ich sie dann hinter mir lasse, habe ich meinen Laufrhythmus gefunden und jogge ganz entspannt weiter: so kann das gut noch eine Weile weitergehen. Der Nebel wird dichter: obwohl ich mich dem „Blauen Wunder“ nährere, kann ich es nicht sehen. Ich achte heute auf einen sanften, flüssigen Laufstil. Wo es möglich ist, laufe ich auch mal ein Stück im Gras oder wechsle die Wegseite. Ab und an setze ich die Füße anders auf. Mir ist schon klar, dass man sich beim Laufen verletzen kann. Also versuche ich, so gut wie möglich mit meinem Körper umzugehen. Der Anstieg zum Blauen Wunder mit dem Kopfsteinpflaster: eine Abwechslung, die gar nicht so unangenehm ist. Dann laufe ich hinüber auf die andere Seite: die schönen, imposanten Pfeiler der Hängebrücke ragen aus dem Nebel auf. Ich freue mich, bald wieder heimwärts zu laufen, auch wenn die Strecke, die vor mir liegt, nicht zu unterschätzen ist. Das Laufen fällt mir noch nicht schwer. Sehr gut klappt das heute. Als ich wieder auf dem Elberadweg bin, flitzt etwas Großes, Dunkles an mir vorbei. Ein Hund! Einige Meter vor mir bleibt er stehen und jault. Ich blicke mich um, suche seinen Begleiter, der hoffentlich bald folgen wird, aber niemand ist zu sehen. Hier im Nebel möchte ich mit diesem Hund nicht allein sein! Ich nehme schleunigst den nächsten Pfad hinauf zur Straße. Eine ganze Weile höre ich ihn bellen und jaulen. Auch neben der Straße kann ich gut weiterlaufen; der Fußweg ist eine ganze Weile sogar aus Erde, mit Split überzogen. Das fühlt sich sofort angenehmer an als der Asphalt auf dem Radweg. Ich mache die erste kurze Trink- und Gehpause. Die Waldschlösschenbrücke sehe ich wieder erst, als ich dicht davor bin. Als ich sie erreicht habe, gibt es eine Traubenzuckertablette. Eine Weile laufe ich auf einem Pfad in den Elbwiesen, dann – Hund in Sicht – geht es wieder oben auf dem Fußweg weiter. Ich bin in Johannstadt, das Zentrum rückt näher. Ich entschließe mich, doch wieder auf dem Elberadweg weiter zu laufen, am Flohmarkt vorbei, wo schon reges Treiben herrscht. Da kann ich mich während des Laufens sogar ein wenig umsehen. Die Innenstadt… bald ist die Halbmarathon-Marke erreicht. Der Nebel löst sich auf, es wird freundlich. Alle zwei Kilometer gibt es nun eine Traubenzuckertablette und etwas zu trinken. Das Laufen fällt mir noch erstaunlich leicht, als ich mich der Marienbrücke nähere. 23 Kilometer… ein einziger Läufer kommt mir entgegen. Die meisten Läufer sind morgen unterwegs, beim Oberelbe-Marathon. Ich laufe heute schon – das sage ich mir immer wieder wie ein Mantra, und denke mir dabei: ein guter Tag, mich richtig ins Zeug zu legen. Vorbei geht es am Heinz-Steyer-Stadion, wo morgen das Ziel für alle Läufer sein wird. Ich kenne das schöne Gefühl, hier anzukommen. Aber heute ist es reizvoll, weiter zu machen. Ein schöner Weg führt an der Elbe entlang bis zur Flügelwegbrücke. Ganz locker laufe ich weiter, der Himmel ist blau, die Sonne wärmt. Ein schöner Streckenabschnitt ist das, weil Bäume und Sträucher immer wieder Schatten spenden. Reichlich 25 Kilometer liegen hinter mir, als ich die Flügelwegbrücke sehe. In der Mitte der Brücke könnten es 26 Kilometer sein… hier nun nehme ich mir vor, die 30 Kilometer zu versuchen. Mein Trinkvorrat reicht noch gut bis nach Hause – und dorthin möchte ich ja! Heute werde ich nicht auf den Bus warten… allmählich komme ich dem Elbepark näher. Ich war heute schon einmal hier, als es noch dunkel war. Nun herrscht lebhafter Verkehr und die Sonne steht schon hoch am Himmel. Bald 28 Kilometer… und den Rest schaffe ich auch noch. Zeitweise geht es auch wieder leichter voran. Es klappt erstaunlich gut, ich habe nun keine Zweifel mehr, mein Ziel zu erreichen. So mancher wesentlich kürzere Lauf hat sich ähnlich angefühlt, aber ich habe dennoch Respekt vor der magischen Dreißig! Der letzte Kilometer. Zum Ende hin mache ich es mir etwas leichter: statt gleich nach Hause abzubiegen, wo es leicht bergan geht, laufe ich zur Elbe hinunter, eine leicht abschüssige Strecke. Ein paar Meter noch, dann gehe ich. 30,27 Kilometer - in 4:02! Ich muss zweimal hinschauen und kann es kaum glauben. Ich hatte geglaubt, an die fünf Stunden unterwegs gewesen zu sein. Stolz bin ich nicht, nur glücklich und dankbar, dass so etwas möglich war. Immerhin bin ich nicht mehr 20, auch nicht 30… Mein Saisonziel ist erreicht. Dass ich den ersten „Dreißiger“ noch im April schaffen würde, habe ich nicht erwartet oder erhofft. Nun werde ich, was das Laufen angeht, wieder halblang machen – und anderen Sport treiben. Denn die vergangen Wochen haben mich wieder gelehrt, wie nötig Regeneration ist. Kein Trainingsplan ist so wichtig wie die körperlichen Signale. Morgen werde ich an die vielen Läufer denken, die im Elbtal unterwegs sind – und hoffentlich alle gesund ins Ziel kommen.

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