Samstag, 29. Oktober 2011

Es ist noch dunkel, als ich das Haus verlasse, und so still, dass man jedes einzelne Blatt hört, das zu Boden sinkt. Sechs Uhr vierzehn. Ich bin seit über zwei Stunden wach und möchte die Zeit für einen Lauf nutzen. Wahrscheinlich bin ich so früh munter geworden, weil ich mich auf das Laufen freue: schon am vergangenen Wochenende bin ich im Dunkeln losgelaufen und habe einen schönen, stimmungsvollen Tagesbeginn erlebt. Stirnlampe und ein kleiner Strahler, den ich am Arm befestigt habe, werden mir wieder von Nutzen sein.

Ich muss mein Tempo etwas zurücknehmen, als ich zum Feld laufe: heute habe ich eine ordentliche Runde vor, und da ist es nicht gut, zu schwungvoll zu starten. Hier ist niemand außer mir unterwegs, aber als ich entlang der Washingtonstraße Richtung Flügelwegbrücke laufe, braust der Berufsverkehr an mir vorbei. Heute ist ja für viele Leute Arbeitstag, aber vielleicht sind auch Reisende auf dem Weg in den Kurzurlaub. Sachsen hat ein langes Wochenende. Im trüben November ist es angenehm, zwei zusätzliche Feiertage zu haben, einfach zum Innehalten. Ich finde, zum Jahresende hin verträgt man Hektik besonders schlecht, aber in dem Gesellschaftssystem, in dem wir leben, steht Achtsamkeit ganz hintenan. Um Achtsamkeit muss ich mich auch beim Laufen bemühen. Schnellere Phasen sind prinzipiell gut, aber bei einem längeren Wochenendlauf kommt es vor allem auf Ausdauer an. Tatsächlich bin ich nicht allein unterwegs! Ein ebenfalls Stirnlampe tragender Läufer kommt mir entgegen, sagt „Sport frei“, während ich „Guten Morgen“ sage. Auch im Fitnessstudio sagen viele „Sport frei“. Dieser Gruß weckt bei mir immer unangenehme Erinnerungen an den Sportunterricht, wo dieser Ruf möglichst laut, zackig und gleichzeitig ertönen sollte. Es kam öfter vor, dass die Lehrer den Gruß wiederholen ließen, weil er ihnen nicht kämpferisch oder sonstwie genug klang. Ich bin meist ungern zur Schule gegangen, und schon immer fand ich Bildungseinrichtungen als denkbar ungeeignet, um Bildung zu vermitteln. Daran hat auch die Wende nichts geändert. In Sport habe ich mich so durchgemogelt – wie in den meisten Fächern auch. Die Schwimmnote hat mir jahrelang den Durchschnitt gerettet. Heute weiß ich, dass Ausdauersport mein Ding ist. Nach der kurzen Zwangspause freue ich mich, dass ich wieder etwas weiter laufen kann, und möchte mich heute ein wenig fordern. An den Elbwiesen ist es noch immer dunkel und kühler als oben an der Straße. Ich habe mich eingelaufen und komme locker voran. Die Molenbrücke ist mein nächstes Ziel: ich möchte sie überqueren und Richtung Stadt laufen. Wieder sehe ich zwei Läufer, deutlich schneller als ich. Nun bin ich an der Leipziger Straße, laufe am Bäcker vorbei, wo die ersten Leute Brötchen holen. Gerade an dunklen Tagen mag ich den Duft nach frischem Kuchen, der hier in der Luft liegt. Aber ehe ich selber zum Bäcker gehen kann, habe ich noch ein bisschen zu tun. Das Geländer der Molenbrücke ist größtenteils erleuchtet, aber weiter drüben, auf der Halbinsel, wäre es ohne meine Lampe zu duster. Radfahrer sind noch nicht unterwegs, aber das wird sich wohl bald ändern. Nun sieht man, dass der Himmel im Osten ein klein wenig heller ist. Ich laufe auf die Innenstadt zu und hoffe, dass sich die Tiere von mir nicht allzu sehr gestört fühlen. Kürzlich habe ich einen Fuchs beobachten können, der im Morgengrauen im City-Beach saß: ganz gelassen hatte er sich zwischen den Strandkörben niedergelassen und schaute herüber zum Elberadweg.

Ich lasse die Marienbrücke hinter mir, sehe Frauenkirche, Hofkirche, den grün illuminierten Theaterkahn und die orangefarbenen Lichter an der Augustusbrücke. Wieder Gegenverkehr mit schnellen, fast tippelnden Schritten: jeder Läufer hat seinen eigenen Stil. An der Augustusbrücke kehre ich um. Es beginnt zu dämmern, und als ich wieder unter der Marienbrücke hindurch gelaufen bin, ist es hell. Nebel liegt über der Elbe, bisher hatte ich ihn nicht bemerkt. Nun muss ich meine Kräfte gut einteilen, wenn ich es bis nach Hause schaffen möchte. Über kurze Ermüdungsphasen kommt man gut hinweg, indem man tiefer atmet und sich lockert. An der Molenbrücke angekommen, bin ich mir ziemlich sicher, mein Tagesziel zu erreichen. Zwei Angler klettern durchs Geländer und gehen hinunter zum Pieschener Hafen. Für mich geht es hinauf zur Brücke, auch das klappt noch ganz gut. Durch die Glockentöne im Stadtzentrum weiß ich etwa, wie lange ich unterwegs bin, und bin ziemlich zufrieden. Die Freude über den gelungenen Lauf lässt einen auch den Rest gut zurücklegen. Nach genau 1 ½ Stunden bin ich wieder am Hoftor. 12 Kilometer waren es heute.

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