Sonntag, 19. Dezember 2010

19.12.10

Nach zweieinhalb Stunden im Schwimmbad bin ich ganz gut ins Wochenende gekommen, aber gestern hatte ich leichten Muskelkater vom Training und war außerdem erschöpft. Heute bin ich etwas erholt, aber nicht wirklich fit. Dennoch möchte ich einen Lauf probieren: mal sehen, wie das geht. Hier zuhause ist Ruhe eingekehrt, alle sind mit ihren Dingen beschäftigt. Ich packe mich noch wärmer ein als sonst, denn der Frost draußen schreckt mich ein wenig ab. Vermutlich wird mir bald zu warm werden, aber egal.

Mich zieht es hinunter zur Elbe. Während der ersten Meter fühle ich mich ganz schlapp und denke mir: weit komme ich heute nicht. Aber ein Weilchen möchte ich schon unterwegs sein und habe mir für den Fall der Fälle eine Fahrkarte eingesteckt. Durch die im Schnee versunkene Baustelle hindurch, laufe ich die Böcklinstraße entlang bis nach Altmickten. Der Pfad an der Elbe entlang lockt mich sehr, aber dort sind Leute mit Schlitten und kleinen Kindern unterwegs, an denen ich nicht vorbeikomme, ohne einen Sturz ins Wasser zu riskieren, also geht das nicht. Ich wende mich nach rechts Richtung Übigau. Dort spüre ich, dass ich nicht richtig durchatmen kann, irgendetwas schnürt mir den Brustkorb zu. Nur die Ruhe, denke ich mir, halte ein langsames, gleichmäßiges Tempo und atme so tief wie möglich. Es ist ein sehr schöner Wintertag, ein wenig bedeckt, und ein paar winzige Schneeflocken sinken von Himmel herab. Neben mir ein alter, schmiedeeiserner, weiß verzuckerter Zaun; die trockenen Ranken einer Kletterpflanze sind voller glitzernder Eiszapfen. Solche Details habe ich in letzter Zeit vermisst; der Stress hat mich überreizt und benommen gemacht. Aber wie schön ist es, wieder Kleinigkeiten zu entdecken! Als ich Richtung Flügelwegbrücke laufe, könnte ich vor Müdigkeit die Augen schließen. Aber die Sonne scheint behutsam aus den Wolken, als wollte sie tageslichtblinde Büromaulwürfe nicht überfordern, und ein solches Geschenk sollte man annehmen. Ich überquere in einem günstigen Moment die Washingtonstraße und steuere einen Weg an, den ich schon lange einmal laufen wollte. Wir sind von hier aus öfter Richtung Kaditz spazieren gegangen. Nach Kaditz möchte ich heute nicht, aber ein Stück an den Elbwiesen entlang wäre schön. Zur Elbe hinunter wird es mühselig, ich muss ein Stück auf der Straße entlang laufen, denn dort, wo einmal Fußwege waren, türmt sich Schneematsch. Bisher klappt es doch ganz gut, und mir fällt ein, wie Bewegung im Freien schon so oft auf mich gewirkt hat: kräftigend und geradezu heilsam. Und ich spüre, wie die Energie wächst. Ich laufe Richtung Elbe hinunter, merke aber bald, dass ich mich in einem eingezäunten Werksgelände befinde und muss wieder zurück. Im Schnee sieht alles ein wenig anders aus; der Weg daneben ist der richtige. Bald bin ich an einem Deich über den Elbwiesen angelangt. Ich möchte ein Stück bis zur Flügelwegbrücke laufen, aber vor mir liegt nur ein schmaler Pfad aus Fußspuren in tiefem Schnee. Da will ich entlang, und da ich die Brücke schon sehen kann, wird das schon. Ein Stück hinter mir führt die Autobahnbrücke über den Fluss. Ich befinde mich zwischen Übigau und Kaditz und wie es aussieht, bin ich völlig allein und ungestört. Man muss hier ein wenig die Beine heben, aber das geht recht gut. Die Gamaschen bewähren sich wieder einmal; nasse Hosenbeine wären bei einem längeren Lauf sehr unangenehm.

Um mich herum tiefer, unberührter Schnee, daneben die Elbe und darüber sanftes Sonnenlicht: nun fühle ich mich beruhigt und ganz frei. Da bin ich wieder – nach einer Woche, in der ich unter Unmengen von Arbeit verschüttet wurde. Im Nu bin ich an der Flügelwegbrücke und möchte noch nicht wieder hinauf, sondern ein Stück weiter. Über Trampelpfade geht es mal hier, mal dort entlang, allmählich bewege ich mich Richtung Übigau, komme der Elbe sehr nahe – dort habe ich beim letzten Mal Enten aufgescheucht, aber heute sind keine da. Gern würde ich weiter geradeaus laufen, weiß aber nicht, ob nicht Familien mit Kindern mir den schmalen Pfad versperren. Also geht es wieder zurück. Was ist schon Zeit – sie bedeutet hier draußen nichts mehr, und den Blick zur Uhr will ich mir sparen. Ich bin auch nicht zu warm angezogen: heute tut es gut, mit Sicherheit nicht zu frösteln. An trüben Tagen wirkt diese Landschaft sehr melancholisch, aber nun, da der Schnee sie bedeckt, ist sie verändert; klar, weit und licht. Nach einigen Metern bin ich wieder an der Flügelwegbrücke, laufe durch den Schnee bergauf, was besser geht, als ich dachte. Oben auf geräumten Fußwegen läuft es sich anders, und ich drücke mich stärker vom Boden ab. Die Spannkraft hat sich in den vergangenen Wochen spürbar verbessert. Es kann sein, dass ich zu Beginn des neuen Trainingsplanes das Laufen etwas einschränken muss: man soll die Muskulatur nicht überfordern. Aber langfristig werde ich stärker sein; das wird sich beim Radfahren, aber auch beim Laufen bemerkbar machen.

Ich laufe an der Washingtonstraße entlang bis zum Elbepark, dort weiter geradeaus und dann rechts herum, immer da, wo geräumt ist. So geht es bis zur Sternstraße und an dieser entlang bis fast nach Hause. Die letzten Meter fallen mir nicht mehr so leicht, aber ein Lauf ist, so wunderbar er zeitweise sein kann, eben kein Spaziergang. Eine Stunde und fünfzehn Minuten – ein schöner Ausdauerlauf, und mit einer solchen Zeitdauer habe ich keinesfalls gerechnet.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen